Unbegründete Angst
Bei Schweizer Angestellten geht ein Gespenst um: Automatisierung und Roboter verdrängen die menschliche Arbeitskraft und billige Arbeitskräfte aus Polen machen selbst unstrukturierte Arbeit in der Schweiz überflüssig. Ein paar wenige Techniker und Informatiker steuern ganze Produktionshallen, während die einstigen Arbeiter arbeitslos zu Hause sitzen. Kundenanrufe nimmt eine Person mit rumänischem Akzent entgegen, während der 50-jährige Informatiker erfolglos nach einem Job sucht und als arbeitsloser Schweizer Konsument trotzdem die überhöhten Schweizer Telefongebühren dieses Anrufs berappen muss. Schreckensszenarien noch und nöcher. Gewisse Ängste sind sicher begründet, die Ursache ist aber weder die Automatisierung noch das Outsourcing.
Wahr ist das Gegenteil. Die Beschäftigungsquote in der Schweiz steigt seit Jahrzehnten an. Jedes Jahr verdoppelt sich die Geschwindigkeit von Computern und die Speicherkapazität verdreifacht sich. Benötigen Sie heute etwa weniger Zeit für Arbeit am PC? Wohl kaum. Die wachsende Leistung schafft neue Bedürfnisse und neue Produkte. Statt mit Füllfeder und Briefpapier schreiben wir heute in hoher Kadenz E-Mails oder kommunizieren per Video-Konferenz.
Mehr Personal anstatt weniger
Oder nehmen wir das Beispiel eines Spitals: Es wird immer mehr Technik eingesetzt, vom Roboterassistenten bei Operationen, neuen Sensoren bis zu intelligenten Messgeräten ist unterdessen alles zu finden. Und trotzdem stellen wir fest, dass der Personalbedarf ungebremst weiter steigt. Das Personal wird nicht ersetzt, sondern dessen Rollen und Funktionen passen sich den veränderten Bedingungen an.
Das gleiche gilt für das Outsourcing. Outsourcing muss nicht bestehende Arbeit ersetzen, Outsourcing ist nicht nur eine Konkurrenz zu hiesiger Arbeit. Sinnvoll eingesetzt führen Auslagerungen nicht nur zu tieferen Kosten, sondern im Endeffekt zu besseren Dienstleistungen und Produkten, zu höherer Kaufkraft und höherer Beschäftigung. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wieviel wir für ein iPhone bezahlen müssten, wenn dieses hier in der Schweiz zusammengeschraubt werden würde. Und jeder von uns ist froh, dass er diese Arbeit nicht verrichten muss. Stattdessen gibt es Jobs in Telekommunikationsfirmen mit hoher Wertschöpfung hier in der Schweiz, weil sich die Konsumenten eben ein solches iPhone leisten können.
Win-Win-Win-Win-Win-Win-Situation
Ich kann hier ein konkretes Beispiel einer Dienstleistung nennen, das schön aufzeigt, wie ein gut durchdachtes Outsourcing zu einer Win-Win-Win-Win-Win-Win-Situation führen kann: Ein Schweizer Anbieter von Firmengründungen führte als Einzelunternehmer seine Firma. Die Personalrekrutierung in der Schweiz ist für ihn schwierig, da er sich in einer Randregion befindet. Durch das Outsourcing der Back-Office-Tätigkeiten an uns konnte er nicht nur seine Profitabilität steigern, sondern auch sein Geschäftsvolumen stark ausbauen, da er nun mehr Zeit für Kundenakquisition und Business Development einsetzen kann. Unterdessen hat sich das Business so stark weiterentwickelt, dass er sogar in der Schweiz Personal sucht, das Koordinationsfunktionen übernimmt und so den wachsenden Arbeitsbedarf stillen kann. Überdies profitieren seine Kunden von tieferen Tarifen für Unternehmensgründungen.
Gewonnen haben also:
- Er als Unternehmer (höhere Marge und mehr Umsatz).
- Seine neuen Mitarbeiter in der Schweiz, die eine spannende und qualifizierte Arbeit ausüben können.
- Seine Kunden in der Schweiz durch tiefere Preise.
- Die Mitarbeiter am Outsourcing-Standort, die eine für hiesige Verhältnisse gut bezahlte und spannende Arbeit haben.
- Der Schweizer Staat (via höhere Steuern und mehr Unternehmensgründungen), aber auch der Staat des Service Center Standorts.
Verlierer in diesem Beispiel sind eventuell die Konkurrenten dieses Unternehmers und allenfalls die Entwicklungshilfe. Beides ist verschmerzbar, denn eine Reduktion von Bürokratiekosten (hier Unternehmensgründungsadministration) ist ein Gewinn für die Gesellschaft und bei der Entwicklungshilfe sind wir doch auch froh, wenn es sie nicht mehr braucht. All diese Leute können nun sinnstiftende Tätigkeiten übernehmen, beispielsweise im Spital neben dem Operationsassistenten in der Pflege mithelfen und dort für mehr Menschlichkeit sorgen (siehe oben). Damit hätten wir noch ein weiteres „Win“, der Patient.
Philipp Stirnemann